Zu meinen Kurzgeschichten

Willkommen in meiner Geschichtensammlung! Hier finden Sie Anekdoten, aber auch tiefgründige Erzählungen aus dem Polizeialltag. Ich möchte Ihnen Einblicke in die Facetten des Polizeidienstes geben und hoffe, dass meine Geschichten zum Nachdenken anregen.

Meine Geschichten bieten Ihnen einen Einblick in die Herausforderungen und emotionalen Belastungen, denen Polizeibeamte täglich begegnen. Es ist mir wichtig, diese Erfahrungen authentisch und eindrücklich zu vermitteln.

Für die Lebenden

 

Ein einschneidendes Erlebnis im Laufe meiner fast 40jährigen Dienstzeit als Polizeibeamter hatte ich während meiner Tätigkeit auf einem Zwei- Mann Polizeiposten in einer kleinen Gemeinde im Württembergischen. Ein einsames Nest, streng katholisch, abgeschieden und insgesamt etwas rückständig. Alles Fremde wurde hier zunächst mit einigem Misstrauen betrachtet.

 

Das Dienstzimmer, ja es war wirklich nur ein einziger, ca. 2,50m x 3,00m großer Raum, befand sich im Erdgeschoss des dortigen Rathauses. Hier residierten wir umgeben vom Charme der 50er Jahre in trauter Zweisamkeit. Das gesamte Mobiliar hatte wahrhaftig bereits mehr als 30 Jahre auf dem Buckel, so dass ich dem Land meinen privaten Bürodrehstuhl zur Verfügung stellte. Der kalte Steinfußboden tat sein übriges zum nicht gerade einladenden Ambiente.

Kamen zwei Personen gleichzeitig auf die Dienststelle, war es regelmäßig notwendig, dass einer von uns seine Schreibmaschine unter den Arm nahm und in den Ratssaal gegenüber umzog, so dass eine ungestörte Bearbeitung des Anliegens erfolgen konnte.

 

Wie üblich war man auf so einer kleinen Dienststelle bedingt durch Urlaub, Krankheit, Abordnungen etc. sehr häufig auf sich alleine gestellt. An so einem Tag des „Alleinseins“ bekam ich den wohl emotional schwierigsten Auftrag unseres Berufsalltags, nämlich die Übermittlung einer Todesnachricht. Ich hatte diese unangenehme Tätigkeit zwar bereits zuvor ausgeübt, jedoch war ich hierbei niemals alleine. In den einschlägigen dienstlichen Merkheften wurde immer darauf hingewiesen, dass man in solchen Fällen auch einen Seelsorger um Unterstützung bitten kann. Eine Notfallseelsorge gab es zu dieser Zeit leider noch nicht.

 

In meiner Ratlosigkeit wandte ich mich deshalb Hilfe suchend an den Geistlichen der Gemeinde. Nachdem ich telefonisch mein Anliegen bzw. den Anlass meines Anrufs kundgetan hatte, äußerte der Gottesmann zu meiner völligen Überraschung, dass er für solche Fälle nicht zur Verfügung stehe, da er als Seelsorger ja für die Lebenden und nicht für die Toten da sei. Solch eine Antwort hatte ich verständlicherweise nicht erwartet. Leider war ich damals nicht schlagfertig genug, um auf diese für mich bis heute nicht nachvollziehbare Absage zu reagieren.

Natürlich sollte der Seelsorger in diesem Fall nicht für den Toten da sein, sondern als Stütze für die Lebenden. Zum einen für mich, den Überbringer dieser einschneidenden, von einem Augenblick auf den anderen alles verändernden Nachricht. Zum anderen für die trauernden Angehörigen, denen ein geliebter Mensch durch einen Unglücksfall plötzlich und völlig unerwartet genommen wurde.

 

Ich musste diese schwierige Aufgabe nun also alleine erledigen. An die Situation vor Ort kann ich mich nach nunmehr 35 Jahren nicht mehr genau erinnern. Jedenfalls war die emotionale Belastung sehr hoch. Zum Glück reagierte die Mutter des Getöteten damals sehr gefasst. Ich erreichte anschließend weitere Angehörige, so dass ich die Mutter in ihrem Schmerz nicht alleine zurücklassen musste. Im Nachhinein denke ich, dass keiner vor Fehlentscheidungen gefeit ist, jedoch hätte ich gerade in diesem Fall von einem Geistlichen sofortige Unterstützung erwartet. Wieder wurde mir bewusst, dass der Beruf eines Polizisten weitaus mehr beinhaltet als ich mir je hätte träumen lassen.

Die Entschärfung

 

Im Dezember 1993, kurz nachdem sich der Briefbombenanschlag auf den damaligen Wiener OB Helmut Zilk ereignet hatte, wurde unserem Polizeiposten auch eine solche Briefbombe gemeldet. Mein Postenleiter, den so leicht nichts aus der Ruhe bringen konnte, nahm den Anruf nach dem Motto entgegen: „Jetzt erst Mal langsam, immer ruhig bleiben, so etwas kommt bei uns nicht vor“.

 

Als wir an der uns genannten Adresse ankamen, zeigte man uns einen Brief ohne Absenderangabe, der offensichtlich einen Gegenstand, ähnlich einer größeren Streichholzschachtel enthielt. Mehr ließ sich von außen nicht ertasten und durch das Adressfenster auch nicht ersehen. Zumindest, so die mehr oder weniger beruhigende Feststellung meines Chefs, waren keine Geräusche zu hören und auch keine Drahtverbindungen zu ertasten. Auch wurde eine Nachfrage nach eventuellen problematischen Zeitgenossen im Umfeld der betroffenen Familie oder nach bereits zuvor ausgesprochenen Bedrohungen verneint. Trotzdem verspürte ich eine gewisse innere Anspannung und ging in Gedanken schon die weiteren Maßnahmen durch (Deponieren des Briefs an einem sicheren Ort, Verständigung der Delaborierer beim LKA zur Verifizierung und evtl. Entschärfung etc.). Der Dienstschluss rückte in meinen Gedanken somit mal wieder in weite Ferne.

 

Zu meiner Verwunderung verlangte mein Chef nach kurzer Überlegung nach einer Schere, worauf ihm zunächst eine kleine Nagelschere gereicht wurde. Mein Chef konnte seinen Unmut nicht verbergen und äußerte mit energischer Stimme, dass er doch nach einer richtigen Schere verlangt habe und nach keinem Spielzeug. Als er dann endlich die erhoffte Haushaltsschere in der Hand hielt, begab er sich mit der vermeintlichen Briefbombe auf die Terrasse des Hauses. Dort schnitt er das Briefkuvert an seiner schmalen Seite langsam und vorsichtig auf, wobei er erstaunlich ruhig blieb. Ich muss gestehen, dass ich die Situation nicht ganz so innerlich ruhig erlebte und während der Aktion immer sprungbereit mehr im Wohnzimmer des Hauses als auf der Terrasse stand.

Aus dem so unkonventionell geöffneten Briefkuvert purzelte eine „Mini- Wasserwaage“ mit freundlichen Weihnachtsgrüßen eines der Familie bekannten Schreinereibetriebes. Die Erleichterung über den glücklichen Ausgang der Aktion war allen Anwesenden deutlich anzusehen und wir verließen den „Tatort“ mit einem freundlichen Abschiedsgruß.

Kleine Eselei

 

Meine Zeit beim Streifendienst war naturgemäß geprägt von belastenden Erfahrungen, die ein „Normalbürger“ meistens nur einmal im Leben macht. Oft spielten sich wahre menschliche Tragödien ab. Unglücksfälle, Streitigkeiten, Straftaten, Vermisstenfälle, Suizide und vieles mehr galt es im sogenannten „ersten Angriff“ zu protokollieren oder bei einfach gelagerten Fällen auch selbst zu bearbeiten. Man war in diesem Bereich einfach „Mädchen für alles“ manchmal willkommen als „Freund und Helfer“, ab und zu auch unerwünscht oder gar verflucht.

 

Desto schöner war es dann, wenn ab und zu auch eine Episode zum Schmunzeln einlud. So geschehen in einer der langen 10- Stunden Nachtschichten Anfang der 1980 er Jahre auf einem „Kleinstadt- Revier“. Es war bereits nach Mitternacht und wir hatten gerade eine kurze Kaffeepause eingelegt, als ein Anrufer mitteilte, dass an einer Einmündung an dem Pfosten eines dort befindlichen Verkehrszeichens ein Esel angebunden sei. Der Wachhabende, der den Anruf entgegengenommen hatte, fragte den Anrufer zunächst ungläubig ob er denn etwas getrunken hätte. Doch dieser verneinte und blieb dabei, dass sich dort ein Esel befände. Mein Streifenpartner und ich machten uns also auf den Weg. Die Anfahrt dauerte nicht lange, da sich die genannte Örtlichkeit in der näheren Umgebung befand. Als wir uns der Einmündung näherten, tauchte im Scheinwerferlicht tatsächlich ein Esel auf. Wir rieben uns zunächst die Augen und schauten uns fragend an. Als wir angehalten hatten und ausgestiegen waren, stand wahrhaftig ein ausgewachsenes Grautier vor uns. Herrenlose Hunde wurden der Polizei häufiger gemeldet, aber einen herrenlosen Esel hatte keiner von uns jemals erlebt.

 

Das Tier musste irgendwo in der Nähe ausgebüxt sein. Offensichtlich hatte der Besitzer das Fehlen des Esels noch nicht bemerkt, eine entsprechende „Suchmeldung“ lag jedenfalls nicht vor. Wir mussten den Esel also zumindest für die Nacht unterbringen. Ein Transport im Streifenwagen zum Tierheim, wie bei kleineren Fundtieren praktiziert, war hier schlichtweg nicht möglich. Doch wohin mit einem Esel?

Da half uns wieder einmal die viel gerühmte Orts- und Personenkenntnis weiter. Uns war bekannt, dass sich in der Nähe ein landwirtschaftliches Anwesen mit einem angegliederten Reitstall befand, vielleicht gab es dort eine Unterstellmöglichkeit. Nach einer telefonischen Anfrage, die wir über die Wache veranlasst hatten, erklärten sich die Hofbesitzer bereit dem Tier Unterschlupf zu bieten.

 

Mein Streifenpartner, der Erfahrung mit Pferden hatte, nahm nun die Leine an sich. Unser Plan war, dass er vom Beifahrersitz aus den Esel führte, während ich den Streifenwagen langsam in Richtung Reiterhof lenkte. Doch die allgemein bekannte Störrigkeit eines Esels sollte sich wieder einmal bewahrheiten. Er wollte einfach nicht vom Fleck. Mein Streifenpartner stieg aus dem Fahrzeug und versuchte das Tier mit salbungsvollen Worten dazu zu bringen an seiner Seite los zu laufen. So kam es letztendlich, dass ich langsam voraus fuhr und mein Streifenpartner mit dem Esel hinter dem Streifenwagen zu Fuß folgte.

 

Es dauerte gut eine halbe Stunde bis wir den Hof endlich erreicht hatten und den Esel dort einquartieren konnten. Zurück auf der Dienststelle wurden wir natürlich von den Schichtkollegen bereits hämisch grinsend erwartet. Es folgten etliche Kommentare, die ich hier nicht weiter dokumentieren möchte. Einen störrischen „Fundesel“ der zwei Streifenpolizisten derart beschäftigte gab es ja nicht alle Tage.

Zu Beginn des nächsten Schichtumlaufs erfuhren wir dann von den Kollegen, dass der Esel tatsächlich am folgenden Tag als „vermisst“ gemeldet wurde. Er gehörte einem Schäfer und war von dem Weideplatz aus zu einer „Nachtwanderung“ aufgebrochen, die dann an dem Verkehrszeichen endete. Dort hatte ihn wohl ein vorbeikommender Verkehrsteilnehmer angebunden.

Handyklingeln

 

Das Praktikum während meiner Ausbildung zum Aufstieg in den gehobenen Dienst führte mich auch zur Verkehrspolizei, die für die spezialisierte Verkehrsüberwachung sowie für die Aufnahme der schweren Verkehrsunfälle im gesamten Direktionsbereich zuständig war.

Mein Streifenpartner und ich waren gerade zu einer Kontrollstelle unterwegs, als uns ein Funkspruch der Führungs- und Lagezentrale erreichte: „Schwerer VU auf der Kreisstraße Richtung Ldorf. Kollision zwischen Kleintransporter und Krad, Streife vor Ort meldet Kradfahrer ist Ex. Übernehmen Sie die VU- Aufnahme“.

 

An der Unfallstelle angekommen, übermittelte uns die Revierstreife die ersten Erkenntnisse. Die Fahrerin eines Kleintransporters bog von der Kreisstraße nach links in einen Waldparkplatz ab und missachtete den Vorrang eines entgegenkommenden Kradfahrers. Das Motorrad prallte hierbei gegen die rechte Fahrzeugseite des Transporters und hinterließ dort eine tiefe, trichterförmige Eindellung. Anschließend wurde es nach links abgewiesen und lag dort auf dem Seitenstreifen. Der zerschmetterte Körper des Kradfahrers war abgedeckt und lag einige Meter weiter auf der Fahrbahn. Durch den starken Aufprall war selbst der Schutzhelm zerborsten. Der Notarzt war bereits wieder abgerückt und hatte den Revierkollegen die Todesbescheinigung hinterlassen, die wir jetzt an uns nahmen. Ein Bestatter war bereits verständigt und wir hielten Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft bezüglich  Führerscheinentzug bei der Verursacherin und Beauftragung eines Gutachtens zum Unfallhergang.

 

Die Unfallverursacherin befand sich in einem Schockzustand und war deshalb nur begrenzt aufnahmefähig. Wir erledigten die weiteren Maßnahmen zur Sicherung der Unfallspuren und der Befundaufnahme. Wie sich herausstellte, handelte es sich bei dem verunglückten Motorradfahrer um einen französischen Staatsbürger der im Auftrag eines großen japanischen Motorradherstellers zu einer Testfahrt unterwegs war. Zwei Mitglieder des Testteams waren im weiteren Verlauf an der Unfallstelle eingetroffen und berichteten uns, dass sie sich für eine Testwoche in einem Hotel in der Nähe einquartiert hatten. Weiterhin berichteten sie, dass der Verunglückte verheiratet sei und eine kleine Tochter habe. Die emotionale Belastung war in diesem Moment allen anzusehen.

 

Nachdem an der Unfallstelle alles erledigt war, machten wir uns auf den Rückweg zur Dienststelle. Die persönlichen Gegenstände des Getöteten, darunter auch ein Handy, hatten wir an uns genommen. Auf der Dienststelle angekommen, galt es neben dem Schreiben des Vorkommnisberichts auch die Übermittlung der Todesnachricht zu veranlassen. Plötzlich klingelte das Handy des Toten. Aufgrund der Displayanzeige war klar, dass dies vermutlich die Ehefrau des Verunglückten war und diesen nun zu erreichen versuchte. Wir schauten uns fragend an. Unabhängig davon, dass keiner von uns fließend französisch sprach, konnten wir das Gespräch nicht entgegennehmen. Was sollten wir gegenüber der Ehefrau auch äußern. Eine Todesnachricht am Telefon zu übermitteln war völlig unmöglich.

 

Der tödliche Verkehrsunfall wird zum gravierenden Wendepunkt im Leben einer Familie. Der geliebte Ehemann und Vater ist plötzlich nicht mehr erreichbar. Er wird nicht mehr nach Hause kommen. Nichts ist mehr wie es einmal war.

Dieses „Klingeln des Handys“ blieb mir bis zum heutigen Tag in Erinnerung. Trotz des professionellen Umgangs und der nötigen Distanz, die ich als Polizeibeamter an den Tag lege, bleiben solche Begebenheiten haften.

Fuhrpark der Verkehrspolizei/ Autobahnpolizei in BW in den 1980er Jahren

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